Doch, was lernt nun der einzelne Schüler durch das
Ergreifen seiner Rolle?
Die Schüler lernen, in eine andere Haut zu schlüpfen, d.h.: die
Sprachmelodie, die Art und Weise des Auftretens, Gangart,
Kopfhaltung, den für die Person typischen Blick, ihre
antipathischen und sympathischen Eigenarten durch den Text hindurch
aufzuspüren und im nächsten Schritt diese Einzelelemente zu dem
Charakter der Rolle zu verdichten. Das verlangt die Fähigkeit
„von sich loslassen zu können“ und sich ganz in die
Bühnenperson zu verwandeln. Es sollte ihm gelingen, über den
Umweg vielfältiger Wahrnehmungs-, Sprach- und Bewegungsübungen,
seinen Aussagen zugrunde liegende seelische Empfindungen so echt zu
erleben, dass sie die passende Gebärde hervorruft. Das dramatische
Prinzip besteht ja gerade in dieser Verwandlungsfähigkeit, in
diesem „Ein-ganz-anderer-Sein“. Nichts wirkt enttäuschender
auf der Bühne, als ein Schauspieler, der nur sich selbst spielt.
Aber gerade hier wird die Möglichkeit eröffnet, sich von sich
selbst zu lösen und aus seiner Unzufriedenheit mit sich selbst
für einen Moment erlöst zu werden. Denn gerade im Schauspiel
einer achten Klasse tritt pubertär bedingt die Situation für
jeden einzelnen Jugendlichen auf, die „Ich & Ich“ in ihrem Song
treffender kaum zu formulieren vermochten: Ich bin nicht der, der
ich sein will. Und will nicht sein, wer ich bin.
Bühne als Wandlungsraum ist gefragt!
In diesem sozialen Lernprozess des Einlebens in eine Rolle wird
indirekt die Fähigkeit geübt, den eigenen Standpunkt, zumindest
zeitweise, zurückzutreten, sich in andere Personen empathisch
hineinzuversetzen und diese sogar in ihren Eigenheiten „zu
mögen“. Werden hier nicht Fähigkeiten gefordert und entwickelt
deren Beherrschung vielleicht sogar eine Chance, zu einer Lösung
so mancher unserer gegenwärtigen sozialen Aufgabenstellungen etwas
beitragen zu können?!
So kann es doch scheinen, dass „das ganze Theater“ durchaus
sinnvoll, d.h. von „Sinn erfüllt“ ist und die Jugendlichen
durch das Einleben in einen anderen Charakter einerseits zu sich
selber in neuer Weise finden und andererseits am Mitschüler neue
Seiten entdecken, die wiederum das Gemeinschaftserleben positiv
stärken? Denn auf der Bühne gilt, was im Alltagsleben so oft
vergessen. „Ich kann den anderen nicht fallen lassen, ohne selbst
zu stürzen.